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Ellis Apfelkuchen

„Wer schleicht denn da draußen wieder rum? Der guckt ja wie sieben Tage Regenwetter”, sagte Elli und deutete durch die mit Tropfen behangenen Scheiben nach draußen.

„Der mit der Mappe? Dat is der Schembeck, macht jetzt die Sicherheit. Scheint nich gut zu laufen, so wie der guckt”, antwortete ein dicklicher Mann in verölter Arbeitskleidung als er ein Stück Apfelkuchen von Elli nahm. Aus der Schlange war Kichern zu hören.

Elli war seit drei Jahren stolze Besitzerin einer kleinen Imbissbude auf dem Werksgelände der Schmalmeier Stahl GmbH. Ihr Angebot an klassischer Currywurst mit Pommes oder im Brötchen war bei den Arbeitern genauso beliebt wie ihr selbst gebackener Apfelkuchen, den sie vor einigen Monaten in ihr Angebot aufgenommen hatte.

„Stimmt so, Elli”, sagte der nächste Kunde, als er einen Fünf-Euro-Schein auf die Theke legte und sein Stück Kuchen nahm. „Der Kuchen war die beste Idee, die du je hattest. Der macht deinen Laden echt besonders.”

„Danke Hermann, ich geb mein Bestes”, erwiderte Elli.

Die Eingangstür des kleinen Imbisscontainers quietschte. Das Lachen verstummte. Tim, der Neue, trat ein und nickte den Anwesenden ernst zu. Bis sich die Tür wieder langsam schloss, war nur das Plätschern des Regens auf den Asphalt des Werksgeländes zu hören. Die hagere Gestalt mit zur Seite gekämmten Haaren und Dreitagebart schob sich in leicht gebeugter Haltung an der Warteschlange vorbei. Die Brille drohte ihm von der Nasenspitze zu rutschen.

„Mein Lieber, hier bist du genau richtig, um dir ein wenig die Laune aufzuhellen bei diesem Schietwetter. Für Neue gibts hier einen kleinen Rabatt auf den Kuchen”, sagte Elli in die Richtung des durchnässten Sicherheitsbeauftragten. „Wirst dich aber noch kurz gedulden müssen. Wie du siehst, stehen die Männer bei mir Schlange”, ergänzte sie und fuhr sich betont süffisant durchs Haar. Einer aus der Warteschlange lachte dreckig.

„Morgen. Machen Sie sich keine Sorge, ich kann warten, aber will aktuell sowieso nichts zu essen”, sagte der Mann und deutete mit dem Zeigefinger auf das Schild an seiner Jacke. „Ich bin Tim Schembeck und mache nun die Sicherheit- und Hygieneprüfungen auf diesem Teil des Geländes. Dürfte ich bitte mal ihren Werksausweis, Betriebsgenehmigung für den Imbiss und die aktuelle Standerlaubnis sehen? Dann setze ich mich einfach an einen der Tische und arbeite das schnell durch.” Tim nahm seine nasse Brille ab und trocknete sie am Saum seiner Jacke.

„Oh, du kommst schnell zur Sache, was? Aber alles klar, habe alles hier. Einen Moment”, Elli verdrehte leicht die Augen und holte einen großen Ordner aus ihrem kleinen Pausenraum hinter der Küche. „Hier, bitte. Und nun zurück zu euch”, wandte Elli sich wieder der Schlange vor ihrer Theke zu.

Eine gute Stunde war das Rascheln von Blättern, das Seufzen von Tim und das Kratzen seines Kugelschreibers auf dem vor ihm ausgelegten Papier zu hören. Die Arbeiter hatten inzwischen Ellis Container verlassen und hatten sich wieder ihren Tätigkeiten zugewendet. Elli ließ Wasser in das Spülbecken und kümmerte sich um das dreckige Geschirr.

„Sooo”, begann Tim unvermittelt, „mir scheint wir haben hier ein Problem, Frau Dombrowski. Den Kuchen, den sie hier backen und verkaufen: Dafür haben sie gar keine Genehmigung. Das hier ist ein Imbiss für warme Speisen; zum Aufwärmen von Speisen, um genauer zu sein. Zubereitung von Fertigprodukten. Oder con-ve-ni-ence food, wie man Neudeutsch sagt.”

„Was soll das bedeuten, mein Lieber?”

Tim verdrehte die Augen: „Dass die Verarbeitung von Grund- und Rohzutaten hier nicht gestattet ist; und es würde mich wundern, wenn die Zutaten über die Logistik des Werkes beschafft werden können. Wenn doch, muss ich da wohl auch nochmal ein ernstes Wörtchen mit denen Reden. Die Zubereitung und der Verkauf von Backwaren sind fortan zu unterlassen.”

Tim haute die Unterseite seines Kugelschreibers auf den Tisch, um ihn einzufahren und drehte demonstrativ einen Zettel Richtung Elli. „Kommenden Montag werde ich erneut prüfen. Bis dahin haben Sie Zeit, das Angebotssortiment entsprechend anzupassen.”

„Nein, keine Logistik, die Sachen für den Kuchen bringe ich mit – das sind Äpfel von meinem Schwager. Was soll denn das? Das war bisher nie ein Problem, wenn der Holger hier kontrolliert hat. Hier probieren sie doch erst einmal”, Elli griff vor sich in den Tresen und holte ein großes Stück Apfelkuchen hervor, brachte es Tim an den Tisch, der sich gerade seine Jacke wieder anzog.

„Holger ist aber nicht mehr da”, sagte Tim genervt und traf mit dem Ärmel seiner Jacke unbeabsichtigt den Teller auf Ellis Arm. Der Teller knallte auf den Tisch und der Kuchen landete mitten auf den Unterlagen und Tims Schreibmappe, eine dünne Schicht Puderzucker verteilte sich darauf.

„Passen sie doch auf, verdammt!”, entfuhr es Tim.

Die sonst so schlagfertige Hobbybäckerin wusste spontan nichts zu erwidern und stand verdattert da. Der Kontrolleur stand auf: „Denken Sie dran: Nächsten Montag.“, er knallte die Tür hinter sich zu.

Elli stand einige Minuten vor den nach Apfelkuchen riechenden Akten. Dann schlug sie mit der flachen Hand auf den Tisch. „Was ein Arschloch!”, platzte es aus ihr heraus.

Als die Abenddämmerung hereinbrach, schloss Elli die Imbissbude und machte sich auf den Weg zur S-Bahn, um nach Hause zu fahren. Sie war noch immer verärgert über das Auftreten des Kontrolleurs und seine Pedanterie. Mit Papierkram hatte sie nie viel zu tun gehabt, sie hatte keine Ahnung, was sie nun tun sollte. Ohne den Kuchen würde sie niemals über die Runden kommen.

Unter lautem Quietschen hielt die S7 am Bahnsteig und sie stieg ein. Durch das Gedränge der anderen Pendler fiel ihr Blick direkt auf ein bekanntes Gesicht im hinteren Teil des Wagens. Diese dünne Gestalt mit der ungesund gebeugten Haltung und den hängenden Schultern, die kannte sie doch. Es war Tim. Er saß dort wie ein Häufchen Elend: Allein an einer Vierer-Sitzgruppe, den Blick leer auf den Boden gerichtet. Seine Haltung verriet pure Erschöpfung und Niedergeschlagenheit.

Elli zögerte kurz, aber Sitzplätze waren rar und gestanden hatte sie schon den ganzen Tag. Sie setzte sich neben ihn. Er schaute mit erröteten Augen auf und dann sofort aus dem Fenster.

„Frau Dombrowski?”, fragte er überrascht.

„Hallo”, sagte sie. Und bei seinem Anblick konnte sie es sich nicht verkneifen: „Ach, auch einen schweren Tag gehabt?”

Er atmete tief durch und schaute aus dem Fenster. Der Regen hatte noch immer nicht aufgehört. „Ja, es war wahrlich kein guter Tag. Aber nicht wegen der Arbeit. Private Probleme, meine Frau und ich, wir… ach – es ist kompliziert.”

Elli blickte überrascht auf den Hinterkopf des harten Kontrolleurs; in der Spiegelung der Scheibe glaubte sie, Tränen in seinen Augen zu erkennen. Sie griff instinktiv in ihre Tasche und kramte ein Stück in Alufolie gepacktes Stück Apfelkuchen hervor. Der Duft von süßlichem Apfel erfüllte die Sitzgruppe. Knisternd faltete sie die Folie beiseite und reichte ihm das Stück Kuchen. Tim nahm es wortlos und ohne sie direkt anzuschauen. Er nahm mehrere Bissen.

Nach zwei Stationen des wortlosen Nebeneinandersitzens musste Elli raus. „Das wird schon wieder, sowas habe ich auch schon hinter mir”, sagte sie in Tims Richtung und ergänzte: „Der Verzehr von Speisen ist in der Bahn übrigens verboten.”

Tim rang sich ein Lächeln ab.

Über eine Woche hörte Elli nichts mehr von Tim. Insgeheim hoffte sie, dass er die Angelegenheit auf sich beruhen lassen würde. Aber dann war es Montag und an den hungrigen Gesichter der vor ihr stehenden Arbeiter vorbei, sah sie Tim vor dem Imbiss aus seinem Auto steigen. Er trug eine Schreibmappe unter dem Arm.

„Was ist los, Elli? Hast du ein Gespenst gesehen?”, erkundigte sich ein schlaksiger Mann im Blaumann.

„Äh, was? Nein, ach es ist nur… so hier, ein Kaffee. Lass ihn dir schmecken!”, fertigte Elli den Kunden ab, ohne ihren Blick von Tim und seiner Schreibmappe zu nehmen.

Die Tür schwankte auf und er betrat den Laden mit ernster Miene. Er nestelte zwei Blätter aus der Mappe und knallte sie Elli auf den Tresen. „Das hat nun ein Ende”, schaute er sie ernst an.

Elli blickte auf die Zettel: “Genehmigung nach Betriebskantinenverordnung: Verarbeitung und Vertrieb von Lebensmitteln aus Eigenproduktion.”

Sie blickte verwirrt auf. „Was bedeutet das?“
„Dass Sie jetzt eine Genehmigung haben, Kuchen anzubieten.“
Elli fiel ein Stein vom Herzen. Die Arbeiter in der Warteschlange stießen sich an.

„Einen Apfelkuchen bitte”, lächelte Tim sie an.

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