Rudi Fleurens Falltafel

Rudi Fleuren ist der Protagonist in meinem kommenden Kriminalroman. Parallel zu einem Fernlehrgang bei der Schule des Schreibens, entwickle und schreibe ich aktuell einen historischen Kriminalroman (cozy crime). In diesem ermittelt Fleuren in einem Routinefall, in dem sein Neffe Alfred involviert ist, und kommt dabei etwas viel größerem auf die Spur.

Um die innere Logik des Kriminalfalls immer wieder zu prüfen, führe ich eine Falltafel mit Spuren und Indizien basierend auf den Informationen, die Fleuren in der Geschichte aktuell zur Verfügung stehen. Ich bin in meinem Durchlauf gerade an einem Wendepunkt angekommen und will das (spoilerfreie) Bild einmal teilen. Bisher bin ich sehr zufrieden.

Neben dem Plotten der Szenenstruktur und der Visualisierung von Beziehungsgraphen, die vor allem auf den Spannungsfluss und die spätere Leseerfahrung einzahlen, empfinde ich die Arbeit mit einer der Romanwelt folgenden Falltafel als sehr wertvoll. Das werde ich so weitermachen! 🙂

Ellis Apfelkuchen

„Wer schleicht denn da draußen wieder rum? Der guckt ja wie sieben Tage Regenwetter”, sagte Elli und deutete durch die mit Tropfen behangenen Scheiben nach draußen.

„Der mit der Mappe? Dat is der Schembeck, macht jetzt die Sicherheit. Scheint nich gut zu laufen, so wie der guckt”, antwortete ein dicklicher Mann in verölter Arbeitskleidung als er ein Stück Apfelkuchen von Elli nahm. Aus der Schlange war Kichern zu hören.

Elli war seit drei Jahren stolze Besitzerin einer kleinen Imbissbude auf dem Werksgelände der Schmalmeier Stahl GmbH. Ihr Angebot an klassischer Currywurst mit Pommes oder im Brötchen war bei den Arbeitern genauso beliebt wie ihr selbst gebackener Apfelkuchen, den sie vor einigen Monaten in ihr Angebot aufgenommen hatte.

„Stimmt so, Elli”, sagte der nächste Kunde, als er einen Fünf-Euro-Schein auf die Theke legte und sein Stück Kuchen nahm. „Der Kuchen war die beste Idee, die du je hattest. Der macht deinen Laden echt besonders.”

„Danke Hermann, ich geb mein Bestes”, erwiderte Elli.

Die Eingangstür des kleinen Imbisscontainers quietschte. Das Lachen verstummte. Tim, der Neue, trat ein und nickte den Anwesenden ernst zu. Bis sich die Tür wieder langsam schloss, war nur das Plätschern des Regens auf den Asphalt des Werksgeländes zu hören. Die hagere Gestalt mit zur Seite gekämmten Haaren und Dreitagebart schob sich in leicht gebeugter Haltung an der Warteschlange vorbei. Die Brille drohte ihm von der Nasenspitze zu rutschen.

„Mein Lieber, hier bist du genau richtig, um dir ein wenig die Laune aufzuhellen bei diesem Schietwetter. Für Neue gibts hier einen kleinen Rabatt auf den Kuchen”, sagte Elli in die Richtung des durchnässten Sicherheitsbeauftragten. „Wirst dich aber noch kurz gedulden müssen. Wie du siehst, stehen die Männer bei mir Schlange”, ergänzte sie und fuhr sich betont süffisant durchs Haar. Einer aus der Warteschlange lachte dreckig.

„Morgen. Machen Sie sich keine Sorge, ich kann warten, aber will aktuell sowieso nichts zu essen”, sagte der Mann und deutete mit dem Zeigefinger auf das Schild an seiner Jacke. „Ich bin Tim Schembeck und mache nun die Sicherheit- und Hygieneprüfungen auf diesem Teil des Geländes. Dürfte ich bitte mal ihren Werksausweis, Betriebsgenehmigung für den Imbiss und die aktuelle Standerlaubnis sehen? Dann setze ich mich einfach an einen der Tische und arbeite das schnell durch.” Tim nahm seine nasse Brille ab und trocknete sie am Saum seiner Jacke.

„Oh, du kommst schnell zur Sache, was? Aber alles klar, habe alles hier. Einen Moment”, Elli verdrehte leicht die Augen und holte einen großen Ordner aus ihrem kleinen Pausenraum hinter der Küche. „Hier, bitte. Und nun zurück zu euch”, wandte Elli sich wieder der Schlange vor ihrer Theke zu.

Eine gute Stunde war das Rascheln von Blättern, das Seufzen von Tim und das Kratzen seines Kugelschreibers auf dem vor ihm ausgelegten Papier zu hören. Die Arbeiter hatten inzwischen Ellis Container verlassen und hatten sich wieder ihren Tätigkeiten zugewendet. Elli ließ Wasser in das Spülbecken und kümmerte sich um das dreckige Geschirr.

„Sooo”, begann Tim unvermittelt, „mir scheint wir haben hier ein Problem, Frau Dombrowski. Den Kuchen, den sie hier backen und verkaufen: Dafür haben sie gar keine Genehmigung. Das hier ist ein Imbiss für warme Speisen; zum Aufwärmen von Speisen, um genauer zu sein. Zubereitung von Fertigprodukten. Oder con-ve-ni-ence food, wie man Neudeutsch sagt.”

„Was soll das bedeuten, mein Lieber?”

Tim verdrehte die Augen: „Dass die Verarbeitung von Grund- und Rohzutaten hier nicht gestattet ist; und es würde mich wundern, wenn die Zutaten über die Logistik des Werkes beschafft werden können. Wenn doch, muss ich da wohl auch nochmal ein ernstes Wörtchen mit denen Reden. Die Zubereitung und der Verkauf von Backwaren sind fortan zu unterlassen.”

Tim haute die Unterseite seines Kugelschreibers auf den Tisch, um ihn einzufahren und drehte demonstrativ einen Zettel Richtung Elli. „Kommenden Montag werde ich erneut prüfen. Bis dahin haben Sie Zeit, das Angebotssortiment entsprechend anzupassen.”

„Nein, keine Logistik, die Sachen für den Kuchen bringe ich mit – das sind Äpfel von meinem Schwager. Was soll denn das? Das war bisher nie ein Problem, wenn der Holger hier kontrolliert hat. Hier probieren sie doch erst einmal”, Elli griff vor sich in den Tresen und holte ein großes Stück Apfelkuchen hervor, brachte es Tim an den Tisch, der sich gerade seine Jacke wieder anzog.

„Holger ist aber nicht mehr da”, sagte Tim genervt und traf mit dem Ärmel seiner Jacke unbeabsichtigt den Teller auf Ellis Arm. Der Teller knallte auf den Tisch und der Kuchen landete mitten auf den Unterlagen und Tims Schreibmappe, eine dünne Schicht Puderzucker verteilte sich darauf.

„Passen sie doch auf, verdammt!”, entfuhr es Tim.

Die sonst so schlagfertige Hobbybäckerin wusste spontan nichts zu erwidern und stand verdattert da. Der Kontrolleur stand auf: „Denken Sie dran: Nächsten Montag.“, er knallte die Tür hinter sich zu.

Elli stand einige Minuten vor den nach Apfelkuchen riechenden Akten. Dann schlug sie mit der flachen Hand auf den Tisch. „Was ein Arschloch!”, platzte es aus ihr heraus.

Als die Abenddämmerung hereinbrach, schloss Elli die Imbissbude und machte sich auf den Weg zur S-Bahn, um nach Hause zu fahren. Sie war noch immer verärgert über das Auftreten des Kontrolleurs und seine Pedanterie. Mit Papierkram hatte sie nie viel zu tun gehabt, sie hatte keine Ahnung, was sie nun tun sollte. Ohne den Kuchen würde sie niemals über die Runden kommen.

Unter lautem Quietschen hielt die S7 am Bahnsteig und sie stieg ein. Durch das Gedränge der anderen Pendler fiel ihr Blick direkt auf ein bekanntes Gesicht im hinteren Teil des Wagens. Diese dünne Gestalt mit der ungesund gebeugten Haltung und den hängenden Schultern, die kannte sie doch. Es war Tim. Er saß dort wie ein Häufchen Elend: Allein an einer Vierer-Sitzgruppe, den Blick leer auf den Boden gerichtet. Seine Haltung verriet pure Erschöpfung und Niedergeschlagenheit.

Elli zögerte kurz, aber Sitzplätze waren rar und gestanden hatte sie schon den ganzen Tag. Sie setzte sich neben ihn. Er schaute mit erröteten Augen auf und dann sofort aus dem Fenster.

„Frau Dombrowski?”, fragte er überrascht.

„Hallo”, sagte sie. Und bei seinem Anblick konnte sie es sich nicht verkneifen: „Ach, auch einen schweren Tag gehabt?”

Er atmete tief durch und schaute aus dem Fenster. Der Regen hatte noch immer nicht aufgehört. „Ja, es war wahrlich kein guter Tag. Aber nicht wegen der Arbeit. Private Probleme, meine Frau und ich, wir… ach – es ist kompliziert.”

Elli blickte überrascht auf den Hinterkopf des harten Kontrolleurs; in der Spiegelung der Scheibe glaubte sie, Tränen in seinen Augen zu erkennen. Sie griff instinktiv in ihre Tasche und kramte ein Stück in Alufolie gepacktes Stück Apfelkuchen hervor. Der Duft von süßlichem Apfel erfüllte die Sitzgruppe. Knisternd faltete sie die Folie beiseite und reichte ihm das Stück Kuchen. Tim nahm es wortlos und ohne sie direkt anzuschauen. Er nahm mehrere Bissen.

Nach zwei Stationen des wortlosen Nebeneinandersitzens musste Elli raus. „Das wird schon wieder, sowas habe ich auch schon hinter mir”, sagte sie in Tims Richtung und ergänzte: „Der Verzehr von Speisen ist in der Bahn übrigens verboten.”

Tim rang sich ein Lächeln ab.

Über eine Woche hörte Elli nichts mehr von Tim. Insgeheim hoffte sie, dass er die Angelegenheit auf sich beruhen lassen würde. Aber dann war es Montag und an den hungrigen Gesichter der vor ihr stehenden Arbeiter vorbei, sah sie Tim vor dem Imbiss aus seinem Auto steigen. Er trug eine Schreibmappe unter dem Arm.

„Was ist los, Elli? Hast du ein Gespenst gesehen?”, erkundigte sich ein schlaksiger Mann im Blaumann.

„Äh, was? Nein, ach es ist nur… so hier, ein Kaffee. Lass ihn dir schmecken!”, fertigte Elli den Kunden ab, ohne ihren Blick von Tim und seiner Schreibmappe zu nehmen.

Die Tür schwankte auf und er betrat den Laden mit ernster Miene. Er nestelte zwei Blätter aus der Mappe und knallte sie Elli auf den Tresen. „Das hat nun ein Ende”, schaute er sie ernst an.

Elli blickte auf die Zettel: “Genehmigung nach Betriebskantinenverordnung: Verarbeitung und Vertrieb von Lebensmitteln aus Eigenproduktion.”

Sie blickte verwirrt auf. „Was bedeutet das?“
„Dass Sie jetzt eine Genehmigung haben, Kuchen anzubieten.“
Elli fiel ein Stein vom Herzen. Die Arbeiter in der Warteschlange stießen sich an.

„Einen Apfelkuchen bitte”, lächelte Tim sie an.

Kreatives Schreiben mit Tarot-Methode

Ich hatte vergangene Woche einen Tag frei und habe die Zeit für ein wenig kreatives Schreiben und die nächste Aufgabe meines Schreiblehrgangs genutzt. Dabei habe ich auf eine Methode aus dem Projektheft mit Kreativmethoden zurückgegriffen: Plotten mit Tarot-Karten. Zu Grunde liegt dabei ein definiertes Muster, was die Position der Karten bestimmten Rollen bzw. Situationen zuordnet. Anschließend nimmt man ein Deck Tarot-Karten (ehrlicherweise weiss ich nicht, ob es irgendwelche Unterschiede zwischen verschiedenen Decks gibt, ich habe das erste Deck, was ich besorgen konnte, genommen), mischt es durch und legt sieben Karten von links oben nach rechts unten der Reihe nach aus. Das war mein Ergebnis:

Dann habe ich darüber ein wenig gebrainstormt und kam nach ein paar Iterationen über entstandene Ideen auf folgendes Ergebnis (für die Aufgabe war das historische Setting „Italien des 14. Jahrhunderts“ vorgegeben):

  • The Magician: Ein Universalgelehrter im 14. Jahrhundert mit dem Namen Francesco Scopuli
  • The Tower: Adel – vor einigen Jahren entstand eine Freundschaft zu einem Grafen
  • The Emperor: Der Graf, der Scopuli zu sich eingeladen hat, um ihm etwas zu zeigen
  • The Fool: Ein Dienstjunge des Grafen, der Scopuli vor Ort unterstützen wird
  • Death: Der Graf ist kurz vor dem Eintrefen von Scopuli verstorben
  • The Devil: Es handelt sich nicht um einen natürlich Tod – der Graf wurde ermordet
  • Judgement: Scopuli kommt zusammen mit dem Dienstjungen dem Mörder auf die Spur und gibt der Polizei die nötigen Hinweise

Entstanden ist die folgende Szene, in welcher Scopuli dem Gegenstand begegnet, der irgendwie mit dem Tod des Grafen in Verbindung steht. Viel Vergnügen bei der Lektüre!


„Bitte, das ist das Geringste, was ich Ihnen anbieten kann, Signore Scopuli“, fuhr die Hausverwalterin fort, „dann war Ihre Anreise, trotz der schrecklichen Umstände, nicht völlig umsonst. Der Graf hätte es so gewollt.“

„Sie haben mich überzeugt“, Scopuli legte beiläufig die Hand über sein Glas und vermittelte damit dem jungen Bediensteten, dass er keinen Rotwein mehr wünschte. „Solange die Carabinieri hier sowieso niemanden vom Anwesen lassen, scheint es mir am sinnvollsten, mir anzuschauen, was der Graf – Gott habe ihn selig – mir so Aufregendes zeigen wollte.“

„Sehr gerne. Bitte lassen Sie es Leandro wissen, sobald Sie mit dem Speisen fertig sind. Während Ihres Aufenthalts steht Ihnen ein Zimmer im ersten Stock zur Verfügung. Leandro wird es Ihnen heute Abend vorbereiten“, sagte die ältere Dame und warf dem Bediensteten einen strengen Blick zu, „Ich wünsche trotz allem einen angenehmen Aufenthalt.“

Das Anwesen des vergangene Nacht verstorbenen Grafen war imposant. Die hohen steinernen Wände des Speisesaals verliehen dem Raum eine erdrückende Schwere. Große Bogenfenster erstreckten sich an einer Seite des Raumes, durch die das spärliche Licht des verregneten Tages einfiel. Regentropfen, die von außen auf die Schreibe klatschten, warfen gespenstische Schatten auf das dunkle Parkett, das bei jedem Schritt der Bediensteten leise knarrte. „Der passende Ort für einen mysteriösen Todesfall“, dachte Scopuli und sagte zum Dienstjungen: „Ich würde nun gerne dieses Gemälde ansehen.“

„Aber natürlich, Signore, folgen Sie mir bitte in den Garten“, erwiderte der Junge mit einem Zittern in der Stimme.

Das eindrucksvolle Gewächshaus, in dem sich das besagte Gemälde befand, lag am Rande des weitläufigen Gartens, umgeben von hohen, verschlungenen Hecken und uralten Bäumen, deren knorrige Äste wie ausgestreckte Arme im Wind schwankten. Scopuli und Leandro betraten das Glasgebäude durch eine schwere, eiserne Tür, die quietschte, als wäre sie seit Jahren nicht mehr geöffnet worden.

Das Innere des Gewächshauses war eine Mischung aus exotischen Pflanzen und blühenden Blumen, deren Farben und Formen eine überwältigende Vielfalt boten. Unbekannte Düfte drangen ins Bewusstsein Scopulis; eine angenehme Abwechslung zu der schweren, moosigen Luft in dem Anwesen. In der Mitte des Raumes hing das mysteriöse Gemälde, das der Graf vor seinem plötzlichen Ableben ihm unbedingt hatte zeigen wollen. Das Bild zeigte eine düstere Szenerie: Eine einsame Gestalt, die in einer stürmischen Nacht vor einer imposanten, gotischen Kathedrale stand, umgeben von teuflischen Kreaturen, die aus den Schatten hervorzukriechen schienen.

„Diese Person“, entfuhr es dem Dienstjungen plötzlich, „die war vorher noch nicht da!“

Scopuli trat näher heran, um das Kunstwerk genauer zu betrachten, als ihm auffiel, dass der Boden rund um das Gemälde mit toten Insekten und kleineren Tieren übersät war. Ihre leblosen Körper lagen in grotesken Haltungen, als hätten sie in ihrem Todeskampf noch versucht, sich von der unheimlichen Darstellung auf der Leinwand zu entfernen. Er konnte nicht anders, als ein Schaudern zu unterdrücken, das ihm den Rücken hinunterlief.

„Leandro, haben Sie das gesehen?“, fragte Scopuli und zeigte auf die toten Tiere.

Der Junge reagierte nicht, sondern starrte wortlos auf das Gemälde vor ihnen.

„Leandro? Was ist los? Was haben Sie geseh-„, Scopuli verstummte als Leandro den Arm hob und auf die Figur auf dem Gemälde zeigte. „Ist das… ist das der Graf? Alfredo?“, Scopuli trat näher an das Gemälde heran. Die toten Insekten knackten unter seinen Schuhen. Er vernahm einen stechenden Geruch. „Das ist er! Und die Farbe dieser Person ist noch frisch! Das kann man riechen und sehen!“

Die beiden tauschten besorgte Blicke aus, das Gewächshaus wirkte noch bedrohlicher als zuvor. Als sie sich umdrehten, um den Carabinieri Bescheid zu geben, bemerkten sie, dass die schwere, eiserne Tür hinter ihnen zugefallen war. Ein Schatten zeichnete sich hinter den Glasscheiben des Gewächshauses ab, entfernte sich rasch in den Regenschauer und verschwand noch bevor Scopuli einen genaueren Blick erhaschen konnte.