Kreatives Schreiben mit Tarot-Methode

Ich hatte vergangene Woche einen Tag frei und habe die Zeit für ein wenig kreatives Schreiben und die nächste Aufgabe meines Schreiblehrgangs genutzt. Dabei habe ich auf eine Methode aus dem Projektheft mit Kreativmethoden zurückgegriffen: Plotten mit Tarot-Karten. Zu Grunde liegt dabei ein definiertes Muster, was die Position der Karten bestimmten Rollen bzw. Situationen zuordnet. Anschließend nimmt man ein Deck Tarot-Karten (ehrlicherweise weiss ich nicht, ob es irgendwelche Unterschiede zwischen verschiedenen Decks gibt, ich habe das erste Deck, was ich besorgen konnte, genommen), mischt es durch und legt sieben Karten von links oben nach rechts unten der Reihe nach aus. Das war mein Ergebnis:

Dann habe ich darüber ein wenig gebrainstormt und kam nach ein paar Iterationen über entstandene Ideen auf folgendes Ergebnis (für die Aufgabe war das historische Setting „Italien des 14. Jahrhunderts“ vorgegeben):

  • The Magician: Ein Universalgelehrter im 14. Jahrhundert mit dem Namen Francesco Scopuli
  • The Tower: Adel – vor einigen Jahren entstand eine Freundschaft zu einem Grafen
  • The Emperor: Der Graf, der Scopuli zu sich eingeladen hat, um ihm etwas zu zeigen
  • The Fool: Ein Dienstjunge des Grafen, der Scopuli vor Ort unterstützen wird
  • Death: Der Graf ist kurz vor dem Eintrefen von Scopuli verstorben
  • The Devil: Es handelt sich nicht um einen natürlich Tod – der Graf wurde ermordet
  • Judgement: Scopuli kommt zusammen mit dem Dienstjungen dem Mörder auf die Spur und gibt der Polizei die nötigen Hinweise

Entstanden ist die folgende Szene, in welcher Scopuli dem Gegenstand begegnet, der irgendwie mit dem Tod des Grafen in Verbindung steht. Viel Vergnügen bei der Lektüre!


„Bitte, das ist das Geringste, was ich Ihnen anbieten kann, Signore Scopuli“, fuhr die Hausverwalterin fort, „dann war Ihre Anreise, trotz der schrecklichen Umstände, nicht völlig umsonst. Der Graf hätte es so gewollt.“

„Sie haben mich überzeugt“, Scopuli legte beiläufig die Hand über sein Glas und vermittelte damit dem jungen Bediensteten, dass er keinen Rotwein mehr wünschte. „Solange die Carabinieri hier sowieso niemanden vom Anwesen lassen, scheint es mir am sinnvollsten, mir anzuschauen, was der Graf – Gott habe ihn selig – mir so Aufregendes zeigen wollte.“

„Sehr gerne. Bitte lassen Sie es Leandro wissen, sobald Sie mit dem Speisen fertig sind. Während Ihres Aufenthalts steht Ihnen ein Zimmer im ersten Stock zur Verfügung. Leandro wird es Ihnen heute Abend vorbereiten“, sagte die ältere Dame und warf dem Bediensteten einen strengen Blick zu, „Ich wünsche trotz allem einen angenehmen Aufenthalt.“

Das Anwesen des vergangene Nacht verstorbenen Grafen war imposant. Die hohen steinernen Wände des Speisesaals verliehen dem Raum eine erdrückende Schwere. Große Bogenfenster erstreckten sich an einer Seite des Raumes, durch die das spärliche Licht des verregneten Tages einfiel. Regentropfen, die von außen auf die Schreibe klatschten, warfen gespenstische Schatten auf das dunkle Parkett, das bei jedem Schritt der Bediensteten leise knarrte. „Der passende Ort für einen mysteriösen Todesfall“, dachte Scopuli und sagte zum Dienstjungen: „Ich würde nun gerne dieses Gemälde ansehen.“

„Aber natürlich, Signore, folgen Sie mir bitte in den Garten“, erwiderte der Junge mit einem Zittern in der Stimme.

Das eindrucksvolle Gewächshaus, in dem sich das besagte Gemälde befand, lag am Rande des weitläufigen Gartens, umgeben von hohen, verschlungenen Hecken und uralten Bäumen, deren knorrige Äste wie ausgestreckte Arme im Wind schwankten. Scopuli und Leandro betraten das Glasgebäude durch eine schwere, eiserne Tür, die quietschte, als wäre sie seit Jahren nicht mehr geöffnet worden.

Das Innere des Gewächshauses war eine Mischung aus exotischen Pflanzen und blühenden Blumen, deren Farben und Formen eine überwältigende Vielfalt boten. Unbekannte Düfte drangen ins Bewusstsein Scopulis; eine angenehme Abwechslung zu der schweren, moosigen Luft in dem Anwesen. In der Mitte des Raumes hing das mysteriöse Gemälde, das der Graf vor seinem plötzlichen Ableben ihm unbedingt hatte zeigen wollen. Das Bild zeigte eine düstere Szenerie: Eine einsame Gestalt, die in einer stürmischen Nacht vor einer imposanten, gotischen Kathedrale stand, umgeben von teuflischen Kreaturen, die aus den Schatten hervorzukriechen schienen.

„Diese Person“, entfuhr es dem Dienstjungen plötzlich, „die war vorher noch nicht da!“

Scopuli trat näher heran, um das Kunstwerk genauer zu betrachten, als ihm auffiel, dass der Boden rund um das Gemälde mit toten Insekten und kleineren Tieren übersät war. Ihre leblosen Körper lagen in grotesken Haltungen, als hätten sie in ihrem Todeskampf noch versucht, sich von der unheimlichen Darstellung auf der Leinwand zu entfernen. Er konnte nicht anders, als ein Schaudern zu unterdrücken, das ihm den Rücken hinunterlief.

„Leandro, haben Sie das gesehen?“, fragte Scopuli und zeigte auf die toten Tiere.

Der Junge reagierte nicht, sondern starrte wortlos auf das Gemälde vor ihnen.

„Leandro? Was ist los? Was haben Sie geseh-„, Scopuli verstummte als Leandro den Arm hob und auf die Figur auf dem Gemälde zeigte. „Ist das… ist das der Graf? Alfredo?“, Scopuli trat näher an das Gemälde heran. Die toten Insekten knackten unter seinen Schuhen. Er vernahm einen stechenden Geruch. „Das ist er! Und die Farbe dieser Person ist noch frisch! Das kann man riechen und sehen!“

Die beiden tauschten besorgte Blicke aus, das Gewächshaus wirkte noch bedrohlicher als zuvor. Als sie sich umdrehten, um den Carabinieri Bescheid zu geben, bemerkten sie, dass die schwere, eiserne Tür hinter ihnen zugefallen war. Ein Schatten zeichnete sich hinter den Glasscheiben des Gewächshauses ab, entfernte sich rasch in den Regenschauer und verschwand noch bevor Scopuli einen genaueren Blick erhaschen konnte.

Pirates trifft auf Lovecraft

Aus dem Nichts aufgetaucht (haha!) ist vor einigen Tagen das Spiel Dredge; entwickelt von Blackstone Key und veröffentlicht von Team 17. Seit vergangenen Freitag habe ich darin über 12 Stunden auf hoher See verbracht.

Dredge ist ein faszinierendes und atmosphärisches Abenteuer, das Elemente aus Sid Meier’s Pirates mit einer düsteren Lovecraft’schen Stimmung kombiniert. In diesem Spiel übernimmt man die Rolle eines Schiffskapitäns, der Aufträge für die örtliche Bevölkerung erledigt und dabei sein Schiff immer weiter ausbaut, um in tiefere Gewässer und unwirtlichere Inselgruppen vorzudringen. Die Aufträge reichen vom Angeln nach ausgefallenen Fischen, über das Bergen von versunkenen Habseligkeiten bis hin zum Transport von Passagieren von einer Insel zu einer anderen.

Während man Aufträge erledigt und sein Schiff verbessert, bemerkt man zunehmend, dass hier in der Gegend etwas nicht stimmt. Die Erzählungen der örtlichen Bevölkerung über mythische Kreaturen und merkwürdige Vorkommnisse scheinen mehr als nur Seemannsgarn zu sein. Dieser Aspekt des Spiels wird auf subtile Weise eingeführt und hält die Spannung während des Spielverlaufs aufrecht. Ob es nun seltsam mutierte Fische sind, die sich in den Netzen verfangen, merkwürdige Lichter nachts in den Tiefen des Wassers oder die rätselhaften Warnungen der verrückten Leuchtturmwärterin: Man will herausfinden, was hier los ist und was es mit den Geschichten der eigentümlichen Inselbewohner auf sich hat.

Die Grafik von Dredge ist simpel, aber effektiv, mit vielen flächigen low-poly Modellen, die dem Spiel einen einzigartigen Look verleihen. Aus der Third-Person-Perspektive steuert man sein Schiff durch die düsteren Gewässer und erkundet die Geheimnisse der Spielwelt. Die minimalistische visuelle Präsentation und die stimmige Soundkulisse tragen wesentlich zur düsteren Atmosphäre bei.

Das Upgrade-System für das Schiff ist gut durchdacht und motiviert einen, immer weiter in die unbekannten Weiten des Ozeans vorzudringen. Neue Angeln und Netze, Scheinwerfer und Motoren sind einige der Ausrüstungsgegenstände, die man im Laufe des Spiels erwerben kann. Relativ früh im Spiel eröffnet ein allein lebender Sammler von Relikten einem die Möglichkeit, durch uralte Kräfte die See und sein Boot zu beeinflussen. Die Auswahl der Upgrades hat einen direkten Einfluss auf die Spielweise und eröffnet verschiedene Möglichkeiten, sich den Herausforderungen des Spiels zu stellen.

Dredge ist ein gelungenes Spiel, das Sid Meier’s Pirates-Enthusiasten und Fans von Lovecraft’schen Geschichten gleichermaßen ansprechen dürfte. Die düstere Atmosphäre und die spannende Handlung haben mich von Anfang an in ihren Bann gezogen und für bisher einige Stunden an Spielspaß gesorgt. Es ist das perfekte Spiel für zwischendurch.

Wer sich von der Beschreibung angesprochen fühlt, dem empfehle ich, einen Blick zu riskieren. Ich spiele das Spiel auf der Playstation; erhältlich ist es aber auch für die XBox und den PC.

Thriller-Fragment: Kieferorthopäde

„Schau mal an, Anja. Eine Hilfe suchende Frau auf dem Weg zu uns”, sprach Dr. Werner gedankenverloren, während er aus dem Fenster blickte. „Was? Nein, mache Dir da keine Sorgen, Anja. Du bist und bleibst hier an erster Stelle, verstehst du?”

Dr. Werner setzte das Schädelpräparat sanft auf die Fensterbank zurück und zupfte sich seinen weißen Kittel zurecht. „Dieses Haar, ihr gestresster Ausdruck; ich werde mich direkt um sie kümmern müssen, Anja. So jemanden hatten wir länger nicht, meinst du nicht auch?”, sagte er an den Schädel gewandt.

Mit der rechten Hand streichelte er über seine Anja und setzte sich hinter den Schreibtisch und griff zum Telefonhörer. „Die junge Dame mit den langen, braunen Haaren… ja, sie müsste jetzt gleich reinkommen – ich möchte sie bitte direkt sehen”, sprach er in seine Gegensprechanlage, “Ja, dann müssen die anderen eben warten! Ich erwarte die Dame bereits”, log er.

Ella zögerte einen Moment, bevor sie die Tür der kieferorthopädischen Praxis öffnete. Schweißperlen blitzen auf ihrer Stirn, während sie die ersten Schritte ins Gebäudeinnere setzte. Der Weg bis hierhin war eine reine Tortur gewesen. Über den Busbahnhof und über den Marktplatz musste sie gehen – weite, offene Plätze mochte sie gar nicht. Zurück würde sie sich ein Taxi nehmen, schwor sie sich. Heute morgen war so schnell keines verfügbar gewesen und das Bedürfnis, den Schmerz in ihrem Kieferknochen loszuwerden, war größer als ihre Agoraphobie.

Am Empfangstresen wischte sie sich den kalten Schweiß von der Stirn und kramte in ihrer Brieftasche nach der Versichertenkarte. „Hallo, mein Name ist Ella…”, setzte sie an.

„Herzlich willkommen – Dr. Werner weiß bereits Bescheid, Sie können direkt in das Behandlungszimmer gehen”, unterbrach sie die Sprechstundenhilfe.

„Oh, das ist… nett. Ja, dann vielen Dank!”, antwortete Ella verdutzt und machte sich auf in die angedeutete Richtung.

Der Flur war angenehm schmal, die Türen geschlossen. Das mochte sie, trotzdem stieg ein mulmiges Gefühl in ihr hoch. Das dämmrige Licht dieses fensterlosen Gangs, der Geruch nach Desinfektionsmitteln und lärmende Kinder – vermutlich aus dem Wartezimmer – sorgten für mehr Beklemmung als ihr lieb war. Nach wenigen Schritten erreichte sie das Behandlungszimmer, ein attraktiver junger Mann im weißen Kittel öffnete die Tür. Das Namensschild an seiner Brusttasche verriet: Das war Dr. Werner.

Der Kieferorthopäde war gerade mal Mitte Dreißig, schätzte sie.  Er hatte einen eindringlichen, stechenden Blick, mit dem er ihren Kiefer augenblicklich begutachtete.

„Bitte, nehmen Sie doch Platz. Was fehlt Ihnen denn?”, sprach er in ruhigem Ton.

Ella versuchte, ihre Überraschung über die direkte Ansprache zu verbergen und tat, wie ihr geheißen. Er war schließlich ein Fachmann – und sie wollte ihre Schmerzen loswerden. Das Kunstleder des Behandlungsstuhls quietschte, als sie auf ihm Platz nahm und anfing, ihre aktuellen Probleme zu schildern.

Dr. Werner hörte interessiert zu. Während er seine Instrumente auf dem Tablett neben ihr zurechtlegte, bemerkte Ella, wie er ihr Haar genauer betrachtete. Sie fragte sich, ob sie sich das einbildete und er in Wirklichkeit ihren Kieferknochen begutachtete. Ja, so musste das sein – sie schob alle negativen Gedanken beiseite.

„Na dann wollen wir mal schauen, was wir tun können”, sagte sich der Doktor, „Von außen ist erstmal nichts Auffälliges zu sehen, Sie haben ein wunderschön proportioniertes Gesicht”, lächelte er sie an. „Sie sind zum ersten Mal hier in der Praxis, nicht wahr?”

„Ja, das stimmt. Dr. Beckers hat mich geschickt, er vermutet ein Problem am unteren, linken Kieferknochen als Ursache für meine Schmerzen.”

„Da können wir beide Dr. Beckers ja dankbar sein”, Dr. Werners Hand griff überraschend an ihr Kinn. Er machte einige Bewegungen und beobachtete ihren Kiefer und ihre Reaktionen dabei ganz genau. Immer wieder trafen sich ihre Blicke.

Ellas Hände umklammerten die Armlehnen des Behandlungsstuhls, bis sie das Metall unter dem Polster spüren konnte. Gerade als Ella die Situation zu unangenehm zu werden drohte, holte der Kieferorthopäde tief Luft: „Wenn ich mir das hier hinten links so anschaue, könnte da das Problem liegen.”

Dr. Werner wandte sich ab und ihre Finger entspannten sich. Der Doktor nahm eine Dose Tabletten von seinem Schreibtisch. „Wir werden das mit einer durchsichtigen Zahnspange vermutlich schnell wieder hinbekommen. Eine einfache Fehlstellung, das kann sich mit den Jahren schonmal schleichend entwickeln, bis man es bemerkt”, führte er aus, ohne dass Ella Rückfragen stellen konnte. „Wir machen zur Sicherheit eine Röntgenaufnahme. Für die akuten Schmerzen nehmen Sie bitte diese Pillen. Da können Sie sich den Weg zur Apotheke sparen.”

Ella nahm die Dose an sich; neben ihr zischte ein Wasserhahn. Dr. Werner füllte einen Plastikbecher mit Wasser.

„Die erste direkt jetzt; den Rest dann jeweils abends, bis die Packung leer ist.”

Ella nahm einen tiefen Schluck und hievte sich aus dem Behandlungsstuhl.

„Bitte hier durch die Tür und auf den Hocker. Meine Kollegin wird gleich die Aufnahmen machen”, bat der Doktor sie in einen Nebenraum.

Er schloss die Tür hinter ihr.

Dann wurde ihr schummrig und sie ließ die Tablettendose fallen. Bevor ihr schwarz vor Augen wurde, sah sie, wie sich die Tür wieder öffnete und Dr. Werner die Dose vom Boden hob.

„Die brauchst du erstmal nicht mehr, meine Liebe.”

Dieser Text entstand als Hausaufgabe während meines Fernstudiums an der Schule des Schreibens. Da dieser Text unabhängig von meinem Romanprojekt entstand, möchte ich ihn hier mit euch teilen.