Wie im letzten Romantagebuch erwähnt, habe ich nun tatsächlich einen weiteren Dialog zur Übung geschrieben. Die Situation war dabei vorgegeben: Eine Mutter gesteht ihrer siebzehnjährigen Tochter, dass sie sich in ihren Freund verliebt habe. Ihr Ehemann bekommt dieses Gespräch zufällig mit.
Nähern wir uns dem Dialog doch über meine Fragen. Hinweis: Eine gute, weitere Schreibübung ist es übrigens, einzelne Fragen anders zu beantworten und darauf basierend einen neuen Text zu schreiben. Beispielsweise würde sich sehr vieles ändern, wenn wir die Perspektive des Vaters einnehmen. Oder wir lassen das Gespräch an einem etwas öffentlicheren Ort stattfinden. Mit so etwas experimentiere ich gerne im Nachgang herum.
Wann und wo findet diese Szene statt?
Die Szene spielt am späten Abend im Wohnzimmer der Familie. Dieser Ort bietet sowohl Intimität als auch die Möglichkeit für den Vater, das Gespräch versehentlich zu belauschen.
Was für Orte unterstreichen oder kontrastieren die Situation?
Das Wohnzimmer unterstreicht die Intimität und die familiäre Atmosphäre. Ein gesicherter, geborgener Raum für alle Beteiligten. Der Inhalt des Gesprächs und der von der Arbeit heimkehrende Vater, der dieses belauscht, bilden einen starken Kontrast.
Findet der Dialog absichtlich statt oder entsteht er aus Zufall bzw. versehentlich?
Der Vater hat das Gespräch versehentlich belauscht. Er kam früher von der Mittagschicht nach Hause und wollte die Familie nicht stören, als er das ernste Gespräch mitbekam.
Wie ist der Wahrnehmungsfokus der Figuren?
- Mutter: Konfliktreich und unsicher, da sie ihre unangemessenen Gefühle offenbaren muss.
- Tochter: Schock und Verrat fühlend. Wütend.
- Vater: Zuerst wütend und verwirrt, dann auf Beruhigung der Tochter aus.
Wie sind die Machtgefälle verteilt?
Ursprünglich hat die Mutter eine Art Macht, weil sie die Informationen kontrolliert, die sie teilen will. Die Tochter ist in einer schwächeren Position, weil sie reagieren muss. Der Vater nimmt eine passive Rolle ein, bis er entdeckt wird.
Findet ein Hierarchiewechsel statt?
Ja, der Hierarchiewechsel erfolgt, als der Vater das Gespräch belauscht und dann entdeckt wird. Nun steht es quasi zwei gegen eine. Dies gibt Tochter und Vater eine neue Machtposition, je nachdem, wie sie reagieren.
Aus wessen Perspektive wird die Szene geschrieben?
Die Szene wird aus der Perskeptive der Mutter geschrieben. Es soll versucht werden, ihre innere Unsicherheit und Zerrissenheit auf Grund ihrer Schudlgefühle stärker hervorzuheben.
Welchen Subtext will ich unterbringen?
Subtext soll die Einsamkeit der Mutter sein, die dazu geführt hat, dass sie sich unpassenderweise in die jugendliche Welt ihrer Tochter hineinsehnt. Ausgelöst durch eine in der Szene spürsame Distanz zwischen den Ehepartnern.
Hier nun der entstandene Dialog:
Geständnisse am Abend
„Jule?”, rief Annemarie in das Treppenhaus der Doppelhaushälfte. Viel zu leise, als dass ihre Tochter sie hören konnte. Annemarie hielt inne. Als keine Antwort zu vernehmen war, nahm sie ihren Fuß wieder von der ersten Treppenstufe und atmete tief durch. Sie ging zurück zur Küche.
Dann klapperte in der ersten Etage eine Türklinke.
Annemarie blieb wie eingefroren stehen.
„Mama? Hast du mich gerufen? Gibts essen? Papa schon da?”, fragte Jule aus ihrem Zimmer. „Hallo?”
„Nein”, Annemarie schluckte, weil ihr Mund trocken war. „Kannst du kurz runterkommen? Ich will dir was sagen.”
„Oookay? Stimmt was nicht?”
„Jetzt komm bitte runter!”, sagte Annemarie bestimmter als beabsichtigt.
„Ja, ist ja gut, man!”
Annemarie setzte sich auf das Sofa im Wohnzimmer und beobachtete die Schritte ihrer Tochter auf der Treppe. Ihre Hausschuhe stießen im schnellen Takt gegen das Tischbein des Couchtisches.
Jule trat ins Wohnzimmer, sie sah genervt und besorgt aus. „Was ist los, Mama? Du klingst so ernst.“ Sie setzte sich neben ihre Mutter auf das Sofa, die Hände ineinander verschränkt, die Augen voller Fragen.
Annemarie blickte ihre Tochter an, kämpfte mit den Worten und dem Gefühl des Verrats, das sie innerlich zerriss. „Es gibt etwas, das ich mit dir besprechen muss, und es fällt mir sehr schwer. Ich… ich weiß nicht genau, wie ich anfangen soll.“ Ihre Stimme zitterte, und sie musste tief durchatmen, bevor sie fortfahren konnte.
„Mama, du machst mir Angst.“ Jule rutschte näher an ihre Mutter heran, sodass sich ihre Oberschenkel berührten. „Alles okay mit dir? Ist etwas mit dir und Papa?“
„Nein, nein, es ist nichts mit Karl.“ Annemarie schüttelte den Kopf. „Es… es betrifft mich. Und… Max.“ Sie schluckte schwer, als sie seinen Namen aussprach.
„Meinen Freund Max?“, Jule starrte ihre Mutter an, Verwirrung und Sorge in ihren Augen. „Was ist mit ihm?“
Annemarie wischte ihre Handinnenflächen auf ihren Oberschenkeln ab, um sie zu trocknen. „Wir… ich… ich habe ihn ja gestern nach Hause gefahren als ihr von der Party gekommen seid… ich“, Annemaries Stimme überschlug sich regelrecht, „ich habe ihn geküsst.”.
„WAS?”, Jule sprang auf und stieß dabei gegen den Couchtisch, der mit einem lauten Knirschen beiseite rutschte.
„Es ist nicht seine Schuld“; Annemarie hielt sich schluchzend die Hand vors Gesicht. „Er hat mich weggestoßen. Aber”, sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht, „aber ich habe Gefühle für ihn entwickelt, die ich nicht haben sollte. So, jetzt ist es raus!”
Jule atmete schwer und starrte ihre Mutter entsetzt an.
„Es ist mir so peinlich und es tut mir so leid, Jule”, Annemaries Augen füllten sich erneut mit Tränen, während sie die Reaktion ihrer Tochter fürchtete.
Die Stille, die folgte, war erdrückend. Jule stand weiterhin regungslos da, ihr Gesichtsausdruck erstarrt in Ungläubigkeit. „Er ist siebzehn und du vierzig, Mama! Was meinst du damit? Das… das kann nicht wahr sein.“
In diesem Moment ertönte ein lautes Schnauben aus dem Flur.
Annemarie erschrak.
„Karl?”, entfuhr es ihr.
Die beiden Frauen drehten sich um. Annemarie blickte in das hochrote Gesicht ihres Ehemanns. Er trug noch seine Arbeitskleidung, seine Arbeitstasche lag fallengelassen auf dem Boden neben ihm. Eine Thermosflasche rollte über den Boden.
Jules Augen füllten sich mit Tränen, als die Realität der Situation sie überwältigte. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, flüsterte Jule, Tränen strömten über ihre Wangen.
Ihr Vater ging einen Schritt auf sie zu und nahm sie in den Arm.
Jule ließ sich fallen.
Annemarie blickte auf die beiden. Karl sah sie an. Annemarie war, als würde er den Kopf schütteln. Sie konnte den Blick nicht halten und schaute auf den Boden. Tränen tropften auf die schwarzen Fliesen.
„Wie konnte das passieren, Mama? Wie konntest du?“, schrie Jule in das Hemd ihres Vaters.
„Wir müssen darüber reden, aber nicht jetzt”, Jules Vater war anzumerken, wie er innerlich kochte.
„Warum hat Max nichts gesagt?”, fragte Jule.
„Das ist… ich weiß nicht, was ich sagen soll“, sagte Karl, „Komm, wir laufen ein Stück.”
Annemaries Kopf pulsierte, die Sätze hörte sie nur in weiter Ferne. Ihr war heiß, ihr Hals pochte.
Sie hörte das Rascheln von Jacken. Die Haustür fiel zu.