Ich schreibe diese Zeilen aus den Arbeitsräumen der Unibibliothek des Campus Duisburg, ehe ich mich gleich Richtung Bonn für eine Runde Cthulhu-Rollenspiel aufmache. Da die sommerliche Hitze beginnt um sich zu greifen, habe ich mein Dachgeschosszimmer verlassen und mich “unter die Leute” gemischt. Einen Tapetenwechsel hatte ich länger nicht beim Schreiben; tut mal wieder gut!

Mein Aufenthalt in der Bibliothek passt auch ganz gut, denn heute und die letzten Tage waren sehr rechercheintensiv. Zwar habe ich dafür nicht auf die Literatur hier vor Ort zugegriffen, wohl aber auf Onlinematerial. Wie auf der Fortschrittsgrafik zu sehen, habe ich eine große Rechercheaufgabe erledigt. Und über das Thema will ich diese Woche ein wenig berichten: Die Möglichkeiten der Rechtsmedizin zu Zeiten der Weimarer Republik.
Forensik anno 1927
Die Forensik der 1920er-Jahre war eine Disziplin im Aufbruch: Moderne wissenschaftliche Methoden begannen, ihren Platz in der Verbrechensaufklärung zu finden – doch natürlich noch komplett ohne DNA-Analyse, ohne Computer und allgemein ohne die Möglichkeiten heutiger Labore mussten Gerichtsmediziner und Ermittler oft mit scharfer Beobachtungsgabe, Erfahrung und Einfallsreichtum arbeiten.
Eine große Rolle in der kriminalistischen Forensik spielte der Chemiker Prof. Georg Popp in Frankfurt a. M., der vor allem Erd- und Bodenproben als Spuren in die Untersuchungen einbrachte. So entwickelte und verfeinerte er eine Methode, um Erdspuren an z.B. der Kleidung der Täter mit denen am Tatort abzugleichen. Er prägte den sogenannten Popp’schen Grundsatz:
„Die Unterschiede in den Böden von Ort zu Ort machen wertvolle Hinweise, um die Verknüpfung zwischen einem Verdächtigen und einem Tatort zu beweisen.“
1911 wurde das erste kriminalistische Polizeilabor in Dresden gegründet. Dennoch arbeiteten vom Gericht bestellte “Gerichtschemiker” noch jahrelang in eigenen Privatlabors an der Analyse von Spuren, ehe sich zumindest in den Großstädten weitere dedizierte Labors und spezialisierte Chemiker etablierten. Für Geldern und Umgegend scheint ein solches Labor auch 1927 noch in weiter Ferne zu liegen – zu ländlich ist die Umgegend. Daher gibt es in meinem Roman einen mit Rudi befreundeten Arzt im Gelderner Krankenhaus, der je nach Fall auch mal den ein oder anderen Gefallen für Rudi erledigt. Allerdings alles nur im realistischen Rahmen der Möglichkeiten.
Aber wie wurden in der Forensik abseits von chemischen Untersuchungen Rückschlusse gezogen und Beweise gesichert? Also auch auf dem Land und ohne speziell eingerichtete Labore? Das Vorgehen deckt sich tatsächlich mit meinen Vorstellungen:
- Autopsie und Leichenschau: Todesursache, Zeitpunkt des Todes und Verletzungsmuster wurden durch visuelle Inspektion, Gewebeuntersuchungen und Sektionsberichte ermittelt.
- Skelettanalyse: Geschlecht, ungefähres Alter, Körpergröße und Verletzungen konnten anhand des Skeletts bestimmt werden. Schon damals nutzten Mediziner Schädelmerkmale und Beckenform zur Geschlechtsanalyse. Auch wurde bereits die Gebissform mit zahnärztlichen Aufzeichnungen verglichen, wenn vorhanden.
- Fingerabdruckanalyse: Seit Anfang des 20. Jahrhunderts war die Fingerabdruckanalyse ein anerkanntes Verfahren zur Identifizierung von Personen.
- Ballistik und Schusswaffenanalyse: Spuren an Geschossen, Laufspuren oder Eintrittswinkel wurden untersucht – die sogenannte forensische Ballistik steckte noch in ihren ganz kleinen Kinderschuhen, aber war bereits punktuell nützlich.
Insgesamt habe ich für mich aus den Recherchen mitgenommen: Forensik im Jahr 1927 war eine Kunst ebenso wie eine Wissenschaft. Der kriminalistische Spürsinn war mindestens so wichtig wie die Untersuchung im Labor – und dennoch legte diese Zeit den Grundstein für vieles, was heute selbstverständlich ist.
Alles in allem helfen mir diese und weitere gewonnene Erkenntnisse, meinen Roman historisch korrekter und detallierter Schreiben zu können. So wie in der aktuell bearbeiteten Szene. In der kommenden Woche werde ich wieder weitermachen und mir entsprechend die übrigen “Forensik-Szenen” anschauen; wenn es zeitlich passt, kommen auch weitere Szenen dran.
Bis dahin euch eine sonnige Woche!