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Eine Stadt als Projektion der Psyche

Ich spiele momentan das (fabelhaft gelungene!) Remake von „Silent Hill 2“. Da mich diese Gesamterfahrung wieder voll gepackt hat und das Spiel sowieso einen festen Platz in meiner Alltime-Top-10 hat, will ich hier einen alten Blogartikel von mir aus dem Jahre 2005 recyclen. Damals habe ich auf meinem Blog viel über meine Lieblingsspiele geschrieben und versucht, diese zu deuten und die Leser in einer Art Tagebücher an meinen Spielerfahrungen teilhaben zu lassen – „Left 4 Dead“, „The Elder Scrolls III: Morrowind“ und „World of Warcraft“ hatten die mit Abstand meisten Beiträge. Aber diese Zeiten sind spätestens seit dem letzten Blog-Restart vorbei – also zurück zu „Silent Hill 2“.

Die ersten beiden Teile der Reihe habe ich zur Veröffentlichung mit meinem damals besten Schulfreund gespielt. Wir saßen in seinem Keller vor einem großen Fernseher und wechselten uns am Playstation-Controller ab. Und auch wenn diese schönen Erinnerungen – manche Szenen haben sich scheinbar auf ewig in mein Gehirn gebrannt – sicherlich zu meiner Bewunderung von „Silent Hill 2“ beitragen, so ist es das fabelhafte Storytelling und die vielschichtige Handlung, was es über die Zeit bestehen lässt.

Schuld und Sühne

Das Horrorspiel geht weit über die bloße Vermittlung von Angst hinaus und stellt eine tiefgründige psychologische Erzählung dar, die Themen wie Schuld, Trauer, Selbstbestrafung und Reue erforscht. Entwickelt von Konami, taucht das Spiel tief in die inneren Abgründe seiner Hauptfigur und erschafft durch die Stadt Silent Hill ein schreckliches, symbolträchtiges Spiegelbild der menschlichen Psyche.

Die Stadt Silent Hill fungiert als mehr als nur eine Kulisse: Sie ist eine Manifestation der inneren Ängste und Schuldgefühle der Charaktere. Silent Hill spiegelt das psychologische Trauma wider, das jeder Charakter in sich trägt, und verändert sich entsprechend. Für den Protagonisten James Sunderland wird die Stadt zu einem Labyrinth aus Schuld und Sühne, und das Spiel selbst legt nahe, dass jeder Mensch, der die Stadt betritt, mit einem psychologischen Makel konfrontiert wird, der in der physischen Welt Ausdruck findet.

Die düsteren, nebelverhangenen Straßen der Stadt, die grotesken Kreaturen und die ständigen Bedrohungen sind Darstellungen von James‘ innerem Konflikt und Scham. Dieser psychologische Ansatz unterscheidet „Silent Hill 2“ von klassischen Horror-Games, indem es die Feinde als Symbole für das Trauma und die psychischen Belastungen der Charaktere darstellt – und nicht einfach als schockendes Kanonenfutter.

James Sunderlands Verbrechen

James Sunderland, die zentrale Figur, wird von einem Brief seiner verstorbenen Frau Mary nach Silent Hill gelockt. Während er sich durch die verfallene Stadt kämpft, erfährt der Spieler allmählich, dass James eine zentrale Rolle beim Tod seiner Frau spielte. Der Verlauf des Spiels wird zum Ausdruck seines eigenen Prozesses der Selbstbestrafung und des Versuches, sich mit seiner Schuld zu konfrontieren.

Das Spiel führt den Spieler durch verschiedene Stadien der Selbstwahrnehmung und Selbstverleugnung. James hat verdrängt, dass er seine Frau euthanasiert hat, und das Spiel zwingt ihn (und den Spieler) langsam, sich diesem Umstand zu stellen. Diese Enthüllung rückt James als tragische Figur ins Zentrum, gefangen zwischen Liebe und Hass, zwischen Verzweiflung und der Sehnsucht nach Vergebung.

Auswahl an Symbolen und Kreaturen

Ein markantes Merkmal von „Silent Hill 2“ ist die Auswahl an Monstern und Symbolen, die jeweils eine spezifische Bedeutung im Zusammenhang mit James‘ mentalem Zustand haben.

  • Pyramid Head: Eine der bekanntesten Figuren des Spiels ist eine monströse Figur mit einer dreieckigen Metallmaske und einer gezackten Klinge. Pyramid Head wird allgemein als eine Manifestation von James‘ Schuld und seinem Drang nach Bestrafung interpretiert. Er ist ein gnadenloser Verfolger, und seine unerbittliche Präsenz symbolisiert James‘ Verlangen nach Sühne. Pyramid Head tötet mehrfach andere Kreaturen im Spiel, was als Selbstbestrafung durch Selbstmordgedanken interpretiert werden könnte. Interessant auf einer ganz anderen Ebene: Unter der Metallmaske steckt das 3D-Modell von James – das ist aber nur mit externen Tools herauszufinden.
  • Maria: Die Figur Maria stellt eine hypersexualisierte Version von Mary dar und verkörpert die Versuchung und den Konflikt zwischen der körperlichen Begierde und der emotionalen Bindung. Marias wiederkehrender Tod repräsentiert James‘ Schuldgefühle und die Unmöglichkeit, seiner Vergangenheit zu entkommen. Sie ist eine Vision seiner verdrängten Wünsche und Bedauern und treibt James an, sich seiner Verantwortung zu stellen.
  • Die anderen Kreaturen: Monster wie die Krankenschwestern verkörpern James‘ unterdrückte Ängste und Sehnsüchte. Die Krankenschwestern, oft als Darstellung seiner sexuellen Frustration interpretiert, sind anstößig und aggressiv – als „Holzhammer“-Metapher sind viele Modelle einfach zwei aufeinandergesteckte Unterleibe. „Abstract Daddy“, der den Charakter Angela verfolgt, repräsentiert wiederum die Vergangenheit eines Missbrauchs von ihr. Richtig starker Tobak, wie ich beim Spielen des Remakes wieder erfahren musste. Auch die anderen Charaktere wie Laura oder Eddie lassen viel Raum für Interpretationen.

Empfehlung

Ich streife hier nur ganz leicht die Oberfläche dieses Meisterwerks. Jedem sei die Lektüre des großartigen Subreddits zum Thema empfohlen. Und diese Videoreihe – die investierte Zeit lohnt sich. „Silent Hill 2“ hebt sich durch die Erforschung komplexer psychologischer Themen und seine Verknüpfung von Gameplay und symbolischer Narration von anderen Spielen ab. Es nutzt die Ästhetik und Mechaniken eines Horror-Spiels, um die emotionalen Abgründe seiner Figuren auszuleuchten und mit archetypischen Elementen zu spielen, die universell nachvollziehbar sind. Ein perfektes Beispiel für digitale Kunst und der Beweis, dass Horror und Splatter nicht nur zum Selbstzweck dienen muss.

Published inVideogames