Ich habe nun, einige Wochen nach dem Release, Silent Hill f durchgespielt. Und auch wenn ich auf diesem Blog eher nicht über aktuelle Blockbuster- und Mainstream-Games schreibe, so hat der neueste Ableger einer meiner Lieblings-Horrorspielreihen doch einen sehr tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Es wird zwar nicht mein Spiel des Jahres werden (dafür ist es zu unbequem und offenbart öfters mal spielerische Schwächen), aber nach Silent Hill 2 halte ich diesen Teil für den storymäßig stärksten und deutungsintensivsten der Reihe. Achtung: Das wird kein spoielerfreier Text.

Silent Hill f ist kein nostalgischer Aufguss einer bekannten Reihe, sondern ein frischer Neuanfang, der das bekannte Thema des psychologischen Horrors in eine andere Kultur, andere Zeit und andere Mythologie überführt. Während Silent Hill 2 Schuld und Reue im Inneren seiner Figuren sucht, verlagert sich der Horror hier nach außen, in soziale Rollen, familiäre Strukturen und gesellschaftliche Zwänge. Der Schrecken liegt nicht im individuellen Versagen, sondern in den Systemen, die Menschen formen. Das ländliche Japan der 1960er Jahre ist in diesem Teil der Schauplatz. Für Silent Hill ein starker Stilbruch und auch für mich mit Eingewöhnung verbunden, weil ich hier kulturell und historisch nur auf sehr, sehr wenig Vorwissen zurückgreifen kann. Aber nach dem Durchspielen und der Beschäftigung mit dem Thema bin ich der Meinung, dass dies ein sehr passendes Setting ist, in welchem die Spannung zwischen Tradition und Selbstbestimmung sichtbar wird.

Zu Beginn legt das Spiel bezüglich der Thematik einige falsche Fährten; in den ersten ein, zwei Spielstunden habe ich gedacht es geht um die persönlichen Ängste der Protagonistin Hinako Shimizu, ausgelöst durch ihren saufenden Vater. Aber es wird im Laufe der Geschichte immer klarer, was eigentlich los ist: Es geht um das Thema (Zwangs-)Ehe. Allerdings nicht im romantischen, sondern im gesellschaftlichen Sinn. In Hinakos Welt bedeutet Heirat weniger eine Verbindung zwischen zwei Menschen als eine Transaktion zwischen Familien. Eine Tochter verschwindet aus ihrem Elternhaus, wird Besitz einer anderen Linie, verliert Namen, Stimme und Wahlrecht. Für ihre Freundinnen Sakuko und Rinko ist Hinako nach ihrer Verlobung “tot”. Ihr Verschwinden wird als Verrat gelesen, was sie (zumindest in Hinakos Kopf) sie unverblümt spüren lassen. Hinako wehrt sich gegen diese Form der Auslöschung, gegen das Verschwinden in einem vorgezeichneten Leben, das ihr keine Autonomie lässt. Ihre Tagebucheinträge beschwören das Ideal der Freiheit. Was sie fürchtet, ist nicht die Ehe an sich, sondern die Auflösung ihrer Individualität.
Das Monster, in das sie sich in der Traumwelt vor der Hochzeit verwandelt ist das sichtbar gemachte Symbol dieser Angst. Das Hochzeitsritual, in dem sie andere und sich selbst “töten” muss, enthüllt, dass Anpassung in dieser Welt nicht Leben bedeutet, sondern Unterwerfung. Hinakos Widerstand, ihr Versuch, sich als eigenständiges Wesen zu behaupten, ist der psychologische Kern des Spiels.
Es gibt übrigens fünf unterschiedliche Enden. Man kann aber beim ersten Durchspielen nur das erste Ende erhalten soweit ich weiss. Ab dem New Game Plus gibt es teilweise andere Zwischensequenzen und Encounter laufen anders ab. Das ist zwar sehr interessant, aber die Unterschiede werde ich mir im Internet anschauen, denn zu einem nochmaligen Durchlauf kann ich mich aktuell nicht überwinden.

Silent Hill f ist, der Tradition der Reihe folgend, voll mit Figuren, die selbst zerrissen sind. Hinakos Vater ist ein strenger, oft grausamer Mann. Aber die Darstellung ist vielschichtig: Sein Verhalten ist der Ausdruck von Scham und Überforderung. Er ist eine Person, die an ihrer Rolle als Ernährer zerbricht, nachdem er sich verschuldet hat. Seine Brutalität ist ein verzweifelter Versuch, Kontrolle zu behaupten. Die Mutter bleibt meist passiv, fast unsichtbar, doch auch das ist ein Akt Gewalt. Sie hält an der Ordnung fest, weil sie selbst von ihr abhängt. Für sich hat sie gelernt, dass Gehorsam das kleinere Übel ist.
Die Freunde spiegeln Hinakos innere Konflikte. Shu liebt sie, wird aber obsessiv und will für sie entscheiden. Kotoyuki zeigt, dass Liebe hier immer auch ökonomisch ist, ein Geschäft im Namen von Tradition. Sakuko, neurodivergent und isoliert, erlebt Hinakos Verschwinden als persönlichen Weltuntergang. Für sie bedeutet Freundschaft absolute Verschmelzung, und als Hinako “davonläuft”, fühlt sie sich verraten. Sie bezeichnet Hinako immer wieder als “Verräterin”. Rinko gesteht in ihrem Tagebuch, dass ihr Stolz nur ein Schutzschild gegen die Sorge ist, nicht gut genug zu sein. All diese Figuren sind keine moralischen Gegenspieler, sondern Menschen, die scheitern; vor und mit Hinako.

Der Ort “Silent Hill” ist in Silent Hill f übrigens Ebisugaoka, der fiktive Heimatort der Figuren. Religiös und von Folklore geprägt. Ich weiss zu wenig über die japanische Kultur, um hier eine tiefere Analyse zu schreiben, aber durch die vielen zu findenden Tagebucheinträge, Schriften und Zeitungsartikel wird klar, dass Aberglaube und Tradition von der Bevölkerung hier so gedeutet wird, wie es für alle bzw. die Gesellschaft am besten passt. Und das unterstützt das Grundthema des Spiels. Es gibt Schreine, die mythologische Figur des Fuches und jede Menge traditionell inspirierter Items und Rätsel – jedoch konnte ich mich hier nur auf die spielmechanischen Einflüsse konzentrieren. Das Dorf Ebisugaoka selbst ist hervorragend in der Tradition der Reihe umgesetzt. Weitläufige Straßen wechseln sich mit engen Gassen und verwinkelten Wegen ab. Man bewegt sich nicht nur zwischen Gebäuden im Dorf, sondern macht auch Abstecher auf die Reisfelder außerhalb und größere Anwesen vor dem Dorf. Alles eingehüllt in den bedrohlichen Nebel. Und auch Traumareale und albtraumhafte Versionen von Schauplätzen gibt es. Es fällt schwer zu unterscheiden, was innerhalb des Spiels Realität und was Einbildung ist. Ich bin mittlerweile der festen Überzeugung, dass nur die ersten drei Minuten kein Traum sind – der Rest ist der Kampf von Hinako mit ihren inneren Dämonen.

Was für die Reihe neu ist, ist das sehr aktive Kampfsystem. Proaktivität wird belohnt, Hinako ist wesentlich agiler als ihre Vorgänger und verfügt auch über zeitgemäße Bewegungen wie Ausfallschritte oder Konterattacken. Es gibt leichte und schwere Waffen. Es gibt nur Nahkampf. Außerdem gibt es wesentlich mehr Gegner als für die Reihe üblich und auch wesentlich mehr Kämpfe, die unausweichlich sind. Das wird in einigen Reviews kritisiert, für mich ist es der Sprung der Reihe in die Neuzeit. Auch die Möglichkeit an Schreinen Opfergaben zu machen und permanente Boni (sprich: Perks) freizuschalten, stört mich nicht. Es ist behutsam in die Logik des Spiels eingefügt.

Der Einsatz von Musik ist extrem sparsam. Der größte Teil des Spiels kommt ohne aus. In bedrohlichen Situationen und ausgewählten Szenen gibt es aber wunderbar verstörende Sounds zu hören. Ansonsten gibt es aber meist Wind, der durch die Gassen weht, das Atmen von Hinako oder nicht immer direkt zu lokalierende Gegner zu hören.

Ästhetisch ist Silent Hill f über jeden Zweifel erhaben. Die Grafik setzt alle Schauplätze brilliant in Szene. Jede Gasse und jedes Zimmer ist schön. Die handgezeichneten Notizen und der Stil der Karte (auf der traditionsgemäß Wege, Hindernisse, Sackgassen und interessante Orte dynamisch eingezeichnet werden) gefallen mir sehr gut.
Was mir allerdings nicht so gut gefällt sind die in ihrer Qualität sehr stark schwankenden Rätsel. An einem frühen Rätsel, was Vogelscheuchen und ein großes Feld beinhaltet, bin ich so verzweifelt, dass ich das Spiel fast abgebrochen hätte. Zu undurchsichtig, was man machen soll, warum welche Lösung richtig ist und einfach viel zu langatmig und sinnlos durch Gegner mit unnötigem Druck versehen. Die Dialoge der Protagonisten haben mich auch oft gestört. Diese wirken hölzern und unbeholfen. Gespielt habe ich mit japanischer Sprachausgabe und englischen Untertiteln. Die Originaltexte kann ich daher nicht beurteilen. Das Spiel lässt einen die Schwierigkeitsgrade für Action und Rätsel gesondert wählen. Hier bin ich bei der empfohlenen Standardeinstellung “Story” für die Action und “Hard” bei Rätsel geblieben.

Trotz kleiner Schwächen bleibt aber ein überdurchschnittlich guter Eindruck. Wer auf solche “schwere Kost”, sowohl spielerisch als auch inhaltlich, steht, der wird hier gut unterhalten sein.
