Mein neuer Lesezirkel

Spoilerfrei: Ich erzähle inhaltlich nichts über den besprochenen Roman, was über den Klappentext hinausgeht.

Nach einem meiner regelmäßigen Brettspielabende nehme ich auf dem Rückweg einen Mitspieler im Auto mit und setze ihn zuhause ab. Oft kam dabei in den letzten Monaten im Auto ein ganz spezielles Thema auf: Bücher. Wir unterhielten uns über Krimi- und Fantasyreihen, tauschten Tipps aus und stellten fest: So ein Austausch macht Bock und erweitert das Leseerlebnis!

Und so entstand aus unseren Gesprächen eine Idee – und aus dieser Idee inzwischen ein kleines Projekt: Ein Lesezirkel. Gemeinsam mit zwei weiteren Bekannten haben wir die Gruppe vor etwa einem Monat ins Leben gerufen. Keine große Sache, ganz ungezwungen – aber mit Freude am Austausch. Unser erstes gemeinsames Buch:
“Die Bibliothek am Mount Char” von Scott Hawkins.

Das Buch

Für unser erstes Treffen hatten wir uns vorgenommen, die ersten 190 Seiten zu lesen. Und ich kann sagen: Schon hier gab es mehr als genug Redebedarf.

Denn dieses Buch… ist seltsam. Und eigenwillig. Und auf faszinierende Weise nicht erklärend. Ich würde sogar fast soweit gehen, zu sagen: Wenn es den Lesezirkel nicht gegeben hätte, hätte ich es eventuell nach den ersten Kapiteln wieder weggelegt. Aber ich bin froh, es nicht getan zu haben!

Gerade im Fantasy-Genre ist man es ja gewohnt, an die Hand genommen zu werden. Da gibt es Karten, Völker, Magiesysteme, Prophezeiungen. Nicht so hier. Scott Hawkins wirft einen mitten hinein in eine Welt, die gleichzeitig vertraut und völlig absurd ist. Figuren, die sich anfühlen wie Mythen im modernen Gewand. Ein Tonfall, der lakonisch und grausam zugleich sein kann. Und eine Struktur, die eher andeutet als erklärt. Wir haben lange darüber gesprochen – über das, was offen bleibt. Über das, was uns verwirrt hat. Und: Über das, was uns trotzdem oder gerade deshalb gefesselt hat.

Der Austausch

Was mir besonders gefallen hat: Wie unterschiedlich die Perspektiven der Leser waren. Wo ich selbst beim Lesen vielleicht über etwas hinweggegangen bin, blieb ein anderer daran hängen. Und umgekehrt. So mancher Zusammenhang wurde erst in der Besprechung in der Gruppe greifbar.

Wir haben uns vor allem gefragt: Was treibt diese Figuren wirklich an? Was ist das für ein Ort, diese “Bibliothek” – und was steckt hinter der Geschichte? Wer – oder was – ist “Vater”? Warum die Kinder und die strikte Aufteilung in Kataloge? Und ist das überhaupt klassische Fantasy? Oder eher ein surrealer Horrortrip mit mythologischem Unterton?

“Was muss der zweite Teil des Buches leisten, damit sich das Ganze für mich lohnt?”, war eine der Kernfragen. Und plötzlich waren wir mittendrin in Erwartungen, Erzählstrategien, Figurenentwicklung – und der Hoffnung, dass das alles noch zufriedenstellend aufgelöst wird.

Den restlichen Text nehmen wir uns in den nächsten Wochen vor. Dann folgt unser finales Treffen dazu – und ich bin sehr gespannt, wie sich die Geschichte auflöst, oder ob sie sich überhaupt auflösen will.

Eines ist jedenfalls schon jetzt klar: Der Lesezirkel ist eine kleine Bereicherung. Nicht nur, weil man ein Buch liest – das kann man auch allein. Sondern, weil man es danach im Kopf noch einmal neu liest, in den Gedanken der anderen.